Samstags, wenn Krieg ist

Samstags, wenn Krieg ist

Erfahrungen mit Buch und Film

Ich habe es immer geliebt, mit meinen Büchern auf ausgedehnte Lesereisen zu gehen. Der Kontakt zu meinen Lesern war mir von Anfang an wichtig. Zwölf bis fünfzehn Wochen pro Jahr war ich für den Bödeckerkreis, diverse Büchereizentralen und Buchhandlungen unterwegs. Ich las in allen deutschen Bundesländern, in Österreich, Luxemburg und immer wieder in der Schweiz. Mit Schulklassen zu diskutieren, die vorher ein Buch von mir gelesen und die Verfilmung gesehen hatten, war für mich ein Privileg und ich habe es genossen. Ich machte bis 1990 mehr als 4000 Veranstaltungen. Aber dann begann sich etwas zu verändern. Es war zunächst ein schleichender Prozess. Ich habe ihn bewusst erst ab 1990 wahrgenommen.

In einigen Klassen herrschte auf einmal eine feindliche Atmosphäre. Da saßen Schüler stumm, manchmal grimmig grinsend, brütend, sie taten nichts, guckten nur voller Hass. 1992 war es für mich unübersehbar. Lehrer begannen zunehmend in ihren Klassen zu leiden, träumten vom Ausstieg. Es wehte in den Diskussionen plötzlich ein rauer Wind. Ich war es gewöhnt, dass Schüler und Lehrer sich auf mein Kommen freuten. Ich wurde als willkommener Gast behandelt. Nun weigerten sich an verschiedenen Orten Schüler, an meiner Veranstaltung teilzunehmen, weil sie „so einer linken Zecke“ nicht zuhören wollten. Mein Roman Die Abschiebung (vom ZDF 1984 verfilmt) war plötzlich an einigen Schulen als Klassenlektüre nicht mehr durchsetzbar. Dann wurde ich an einer Schule mit „Heil Hitler!“ begrüßt und am gleichen Tag schenkten mir Schüler einen Maulkorb. An den solle ich mich schon mal gewöhnen, für ein neues ’33.

Zum ersten Mal in meinem Autorenleben war ich kurz davor, eine Lesereise abzubrechen. In einem Kaff in Mecklenburg-Vorpommern besoff ich mich und wollte ernsthaft aufgeben. Aber dann geschah etwas anderes. In der gleichen Kneipe saßen einige der Schüler, die mir am Morgen so zugesetzt hatten. Ich sah sie erst, als ich zur Toilette ging. Ich hatte genug Rotwein intus, um sie anzuquatschen. Ich zeigte auf ihre kahl rasierten Schädel und fragte:

Warum lauft ihr eigentlich herum wie KZ-Häftlinge?
Nein, es gab keine Schlägerei. Vielleicht funktionierte noch ein Hauch von Schulautorität, jedenfalls fand ich mich an ihrem Tisch wieder und musste mir anhören, dass in den KZs gar keine Juden vergast worden seien. Später, viel später, als der Druck provozieren und schockieren zu müssen, nachließ, wurden langsam die Menschen hinter diesen hanebüchenen Thesen spürbar. Ich sah frustrierte Kinder, die von dieser Gesellschaft nur eine Botschaft wirklich glaubhaft gehört hatten: Wir brauchen euch nicht. Ich erlebte die großmäuligen Glatzköpfe plötzlich als Menschen, die verzweifelt ihren Platz in der Gesellschaft suchten, aber angeboten wurde ihnen nur Demütigung. Dem „Du bist nichts wert“ setzten sie ein trotziges „Wir machen euch alle platt“ entgegen.

Ja, so sehr sie mich auch erschreckten, ich begann sie zu verstehen. Sie waren so sehr auf der Suche nach jemandem, der ihnen ihren Stolz zurückgeben konnte, dass sie bereit waren, dafür jeden Mist zu glauben. Ich trieb mich wochenlang auf ihren Partys herum, besuchte schreckliche Konzerte und versuchte ihnen näher zu kommen. Fast immer stieß ich auf einen unaufgelösten Vater-Sohn-Konflikt. Oft auf nicht vorhandene oder sehr schwache Väter. Ich begann, Jugendarbeitslosigkeit als Verbrechen an den Seelen Heranwachsender zu begreifen. Die Arbeit am Roman Samstags, wenn Krieg ist ließ mich nicht mehr los.

Damals fragte mich ein Redakteur vom SDR Stuttgart (heute SWR), ob ich für den Sender eine neue Polizeiruf-110-Reihe entwickeln könnte. Ich erzählte ihm, womit ich mich gerade beschäftigte. Es wurde ein sehr langes Gespräch. Er fing sofort Feuer und wollte immer mehr wissen. Ich zeigte ihm die ersten vierzig Seiten von meinem Roman. Inzwischen hatte ich dafür einen Vertrag und schrieb unter Hochdruck. Im Sender stieß meine Idee auf viel Gegenliebe. Ich wurde dramaturgisch hervorragend unterstützt und noch während ich schrieb, suchten wir einen Regisseur. Ein junger sollte es sein, altersmäßig nah dran an den Hauptfiguren, mit einem cineastischen Blick und viel Einfühlungsvermögen. Ich traf Roland Suso Richter und wir verstanden uns auf Anhieb. Später machten wir noch einen weiteren Film gemeinsam, Svens Geheimnis.

Er schlug Heino Ferch als Wolf vor, Markus Knüfken als Siggi und Felix Eitner als behinderten Bruder Yogi. Ich wollte Angelica Domröse als Kommissarin. Meine Redakteure glaubten zunächst nicht daran, denn angeblich hatte Frau Domröse seit Jahren alle angebotenen Drehbücher abgelehnt und spielte nur noch in Wien Theater. Ich bat, ihr mein Drehbuch zu schicken. Sie war sofort mit von der Partie. Ich mochte ihre Zerbrechlichkeit. Wenn sie als Kommissarin Vera Bilewski die Waffe zog, kam mir die Pistole zu groß für sie vor. Ich glaubte nicht, dass sie in der Lage wäre, zu schießen. Die militante Körperlichkeit ihrer machohaften Gegenspieler kam so erst richtig zur Geltung. Nicht die Kommissarin bedrohte die Bande – die Bande bedrohte die Kommissarin.

Später schrieb ich (gemeinsam mit Ulrich Bendele) noch zwei weitere Polizeiruf 110 mit Kommissarin Vera Bilewski in der Hauptrolle. Kleine Dealer, große Träume und Hetzjagd.

Buch und Film Samstags, wenn Krieg ist hatten 1994 bei Presse und Publikum einen furiosen Start. Rasch waren zwei Hardcoverauflagen verkauft und 1995 erschien eine Taschenbuchausgabe. Bernhard Blees begleitete mich für den Südwestfunk drei Wochen lang auf meiner Tournee und drehte ein 45 Minuten langes Porträt über mich und meine Arbeit mit dem Buch. Ich hatte 180 Schul- und 35 Abendveranstaltungen in den ersten acht Wochen. Nur selten reichten die Stühle aus. Aber diese Lesereise war anders als frühere. Jetzt wurde mehr diskutiert und weniger vorgelesen. Lehrer, die in ihren Schulen Probleme mit Neonazigruppen hatten, luden mich gezielt ein.

Ich lernte eine junge Lehrerin kennen, die frisch an der Schule, die „schlimmste Klasse“ bekam, in der man alle die Schüler versammelt hatte, die niemand mehr unterrichten wollte. Aus vielen abgeschobenen Problemfällen hatte man eine Alptraumklasse gebaut, die sich jedem pädagogischen Einfluss entzog. Die junge Lehrerin wurde von den Jungs höchstens als Sexualobjekt ernst genommen. Schulsport war, dafür zu sorgen, dass sie heulend aus der Klasse rannte, was regelmäßig zweimal pro Woche gelang. Natürlich zweifelte sie inzwischen an sich selbst, ihrer Berufswahl und dem Leben an sich. Ich kam in ihre Klasse. Ich fühlte mich wie ein Gladiator in der Arena. Spaß machte das nicht. Aber unbeeindruckt ließ mein Auftritt die Jugendlichen auch nicht.

Ich erinnere mich an eine Lesung in einer kleinen Buchhandlung. Ein Bär von einem Mann stand auf, bei ihm seine zwei Köpfe kleinere Freundin. Er war höchstens fünfundzwanzig und sprach mit einer stockenden Stimme, die irgendwie nicht zu seinem Körper passte. Er sagte, er habe den Film zunächst gehasst, aber die Bilder hätten ihn auch nicht losgelassen. „Ich musste immer daran denken.“ Dann hätte seine Freundin ihm dieses Buch geschenkt. So, wie er das sagte, war allein der Gedanke, jemand könnte ihm ein Buch schenken, völlig absurd für ihn. Während er sprach, sah er immer wieder zu seiner Freundin, die ihm mit liebevollen Blicken Mut machte. Er habe „gelebt wie die“, sagte er und er hätte „jede Menge Türken geklatscht.“ „Beim Lesen habe ich kapiert, dass ich eigentlich immer nur sauwütend auf meinen Vater war. Aber das habe ich nicht wahrhaben wollen. Ich wusste gar nicht wohin mit meiner ganzen Wut.“ Ein paar Zuhörer klatschten ihm spontan, wenn auch verhalten, Beifall.

Wir sind nicht gewöhnt, hinter all der Randale und dem Politzirkus die menschlichen Schicksale, die gequälten Seelen zu sehen, die halb irre vor Zorn schreien und politisch instrumentalisiert werden. Der Film Samstags, wenn Krieg ist mit erstaunlichen Bildern von Kameramann Hans Grimmelmann lief bei den Münchener Filmfestspielen und wurde als „kleines Meisterwerk“ gefeiert (Fränkische Nachrichten). Anschließend wurde Samstags wenn Krieg ist um 20.15 Uhr im Abendprogramm der ARD ausgestrahlt und erhielt hymnische Besprechungen. Er wurde rasch in der ARD wiederholt und mehrfach auch in den Dritten Programmen. Im Sender überlegte man sogar, eine DVD-Edition aller drei Filme mit Vera Bilewski herauszubringen. Aber dann geschah etwas, zunächst ohne dass ich es bemerkte.

Der Film verschwand im „Giftschrank“ des SWR und wurde nicht mehr für Wiederholungen freigegeben. Bei mir häuften sich Anfragen, wann der Film denn mal wiederholt würde. Ich verwies an den Sender, aber Wiederholungen waren „nicht vorgesehen“. Die letzte Ausstrahlung fand am 20.02.2002 im SWR statt. Der SWR gab am 27.12.2006 die offizielle Mitteilung heraus: „Wegen der missverständlich aufgenommenen Darstellung von Gewalt in dem Polizeiruf 110 Samstags wenn Krieg ist hat der Fernsehdirektor des SWR den Film bis auf weiteres gesperrt, so dass der Film bis auf weiteres nicht wiederholt wird.“

Dies ist umso verwunderlicher, als dass Buch und Film fester Bestandteil des Deutschunterrichts an zahlreichen Schulen in Deutschland, Österreich und der Schweiz geworden sind. Verzweifelt schrieb ich Briefe an den Sender und bat darum, mit mir zu diskutieren. Aber der Giftschrank öffnete sich nicht. Es kursieren nur noch ein paar DVDs und VHS-Kassetten. Ein Hauptschullehrer, der bedauerte, dass seine VHS-Kassette, mit der er den Film allen 8. Klassen vorgeführt hatte, kaputt gegangen war, kommentierte das so:

„Da mussten wohl ein paar Akademiker etwas gegen Gewalt im Fernsehen tun und “Samstags, wenn Krieg ist„ war das Opfer. Sie geben vor, etwas zu bekämpfen und erreichen in Wirklichkeit das Gegenteil. Jetzt fühlen die sich bestimmt alle ganz toll. Aber ich stehe wieder mit leeren Händen da. Mit dem Film habe ich die Kids erreicht. Wenn ich mit der Flut von pädagogisch wertvollen Materialien, die man uns tagtäglich aufdrängt, in der Klasse erscheine, ist das ja vielleicht politisch korrekt, ich ernte aber bestenfalls gelangweilte Schüler – falls sie mich nicht auslachen. Mit “Samstags, wenn Krieg ist„ hatte ich sie immer alle. Der Film hat sie emotional erreicht, weil er sie ernst nimmt.“