Reinhart Hoffmeister – Litera-Tour
Gern erinnere ich mich an Reinhart Hoffmeister, den klugen Journalisten, der von SPIEGEL und STERN zum ZDF wechselte und dort Aspekte-Chef wurde. So bot die Kultur den redaktionellen Gegenpart zum erzkonservativen Gerhard Löwenthal vom ZDF Magazin.
Reinhart Hoffmeister gehörte zu den Kulturjournalisten, die tatsächlich noch Bücher lasen, ja, sich von ihnen anstecken und begeistern ließen. Ich war 27 Jahre alt und hatte den Roman Vielleicht gibt’s die Biscaya gar nicht im Kindler-Verlag veröffentlicht. Mit einem autoreneigenen Verlag war ich gerade gescheitert. Meine Schulden waren erdrückend, die Bank hatte mir die Kreditkarte weggenommen. Ich war gerade Vater geworden, hatte keinen Job und war pleite. Aber ich schrieb tapfer an einem neuen Buch.
Heute frage ich mich, woher ich den Optimismus nahm, dass alles irgendwie gutgehen könnte.
Einige Übereifrige strengten Prozesse gegen mich an. Es sah ganz so aus, als würde ich über kurz oder lang wegen unordentlicher Buchführung und verspäteter Konkursanmeldung im Gefängnis landen. Da klingelte mein Telefon (ja, es gab kurze Phasen, in denen die Post es nicht wegen meiner Zahlungsschwierigkeiten abgestellt hatte) und Reinhart Hoffmeister schwärmte von einem Roman, den er gelesen hatte. Er fand ihn erfrischend in seiner Schnodderigkeit und Radikalität der Wirklichkeitserfassung. Er sprach von einem neuen Ton in der Literatur.
Ich kapierte zunächst gar nicht, dass er von meinem Roman sprach, und er lud mich tatsächlich in seine renommierte Sendung Litera-Tour ein, eine Livesendung zur Frankfurter Buchmesse.
„Wer“, fragte ich zaghaft, „wird denn noch dabei sein?“
„Michael Ende“, antwortete Hoffmeister. „Mit ihm will ich über die Unendliche Geschichte reden.“
Nach dem Gespräch war ich wie benebelt. Ich rief im Verlag an, um denen das mitzuteilen, aber dort glaubte man mir nicht so recht. Dort hatte man, wie in vielen anderen Häusern, alle Hebel in Bewegung gesetzt, um einen berühmten Autor in die „wichtigste Literatursendung des Jahres“ zu bringen, die genau zur Buchmesse lief, wenn die Literaturbranche so sehr im öffentlichen Interesse war. An mich und meinen Roman hatte dabei natürlich niemand gedacht.
Ein paar Wochen vor der Sendung traf ich Reinhart Hoffmeister in Köln. Wir tranken Kaffee zusammen und redeten über unsere Leseerfahrungen. Ich gestand ihm, dass ich noch gar nicht wusste, ob ich wirklich bei der Live-Sendung dabei sein könnte, denn die Gerichtsverfahren gegen mich spitzten sich zu und ich könne zwischenzeitlich im Knast landen.
Er ließ sich die ganze Geschichte erzählen und sagte: „In der Tiefe bedeutet das doch, du würdest ins Gefängnis gehen, weil du an Literatur, an Kunst, an Schriftsteller geglaubt hast und du damit wirtschaftlich gescheitert bist. Edgar Hilsenrath, Rose Ausländer… eigentlich hättest Du für die Bücher, die Du in dem kleinen literarischen Verlag gemacht hast, einen Preis verdient.“
Es tat mir gut, ihm zuzuhören. So, wie er die Geschichte darstellte, ließ sich leichter damit leben. Er, der sich in der deutschen Exilliteratur auskannte wie kaum ein Zweiter, zählte gleich ein Dutzend großer Autoren auf, die im Gefängnis gelandet waren und trotzdem weitergeschrieben hatten.
Als ich das Café Reichard mit ihm verließ und ihm zum Bahnhof brachte, war die Welt immer noch dieselbe. Keins meiner Probleme hatte sich in Luft aufgelöst und trotzdem ging es mir wesentlich besser und ich atmete freier.
Für dieses Gespräch bin ich ihm noch heute dankbar.
In seiner Live-Sendung präsentierte er mich dann nicht als Verbrecher, sondern als jungen Autor, der zu großen Hoffnungen Anlass gäbe.
Solche Sendungen fanden damals ein Millionenpublikum. Viele Menschen sprachen mich darauf an. Zum Beispiel auch der Staatsanwalt, der erstaunt feststellte: „Ich habe Sie im Fernsehen gesehen. Sie sind ja ein richtiger Schriftsteller.“
Solche Meinungen begegneten mir des Öfteren. Für viele wird man nicht ein „richtiger Schriftsteller“, indem man ein Buch veröffentlicht, sondern erst, wenn man damit im Fernsehen auftritt.
Sicherlich half die Sendung mir auch, für meinen nächsten Roman einen guten Vorschuss auszuhandeln.
Jahre später traf ich Reinhart Hoffmeister bei einer Verlagsparty in Frankfurt wieder. Der Droemer Knaur Verlag hatte eingeladen. Ich gebe es gerne zu: wir betranken uns im Frankfurter Hof, der Wein war gut und kostenlos. Wie nebenbei fragte Reinhart mich, was aus diesen Strafsachen gegen mich geworden sei. Ich erzählte ihm, dass ich zwar Schulden in Millionenhöhe hätte, aber nichts ins Gefängnis müsse. Er gab zu, das eigentlich zu bedauern. Er hatte vorgehabt, daraus eine große Geschichte zu machen und natürlich wollte er mich im Gefängnis zu einem Abschlussinterview besuchen.
Wir lachten und prosteten uns zu. Ich weiß bis heute nicht, ob er es ernst gemeint hatte oder ob es nur ein Spaß war.
Gern denke ich an ihn zurück. Freie, mutige Geister wie er haben das kulturelle Leben unseres Landes enorm bereichert. Er verstarb im Alter von 92 Jahren 2016 in Bremen. Ich verneige mich noch heute vor ihm. Er hat mir in einer ganz schwierigen Zeit, als sich viele von mir abwendeten, die Hand gereicht.
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