Holger Bloem fragt bei Klaus-Peter Wolf nach
„Ostfriesland ist ein Sehnsuchtsort“
Holger Bloem: Sie zählen zu den erfolgreichsten Schriftstellern deutscher Sprache. Ihre Romane stürmen regelmäßig die SPIEGEL-Bestsellerliste, Tausende Fans fiebern dem Erscheinen des nächsten Romans entgegen …Erzählen Sie uns doch mal von den Anfängen. Wie begann das alles?
Klaus-Peter Wolf: Meine erste Geschichte veröffentlichte ich mit vierzehn Jahren. Es war eine Geschichte über meinen saufenden Vater. Ich war verzweifelt und habe meinen Frust runtergeschrieben.
Holger Bloem: Schreiben als Therapie?
Klaus-Peter Wolf: Wenn Sie so wollen, war es das damals bestimmt. Es traf aber offensichtlich den Nerv vieler Menschen, denn so pervers war ich ja nicht, dass meine Sorgen und Probleme nur meine Sorgen und Probleme gewesen wären. Viele meiner Generation kannten das auch. Wir hatten mit einer rollenunsicheren Vätergeneration zu tun. Der Krieg war vorbei, sie hatten die Erlebnisse natürlich nicht verarbeiten können und viele betäubten sich mit Alkohol.
Die Geschichte wurde vielfach nachgedruckt. Ich trug sie immer wieder bei Veranstaltungen vor. Ich ging damals in Gelsenkirchen zum Grillo-Gymnasium, machte bei einer Schülerzeitung mit, die verboten wurde. Schließlich gab ich ein eigenes Blatt heraus, das außerhalb der Schule verteilt wurde und von Anzeigen lebte. Ich war zwar Schüler, fühlte mich aber als Berichterstatter.
Holger Bloem: Hatten Sie nie einen anderen Plan als den, Schriftsteller zu werden?
Klaus-Peter Wolf: Ich ging ohne Plan B ins Leben. Ich hatte aber nicht das Gefühl, Schriftsteller werden zu wollen, sondern einfach, einer zu sein. Es kommt darauf an, im Leben herauszufinden, wer man ist und das dann mit allen Konsequenzen zu leben. Ich glaube, ich wäre in jedem anderen Beruf unglücklich geworden. Ich hatte nie eine Alternative. Ich wollte nicht Schriftsteller werden, um reich zu sein oder gar berühmt. Ich wollte meine Geschichten erzählen.
Mein erstes Buch erschien dann, als ich siebzehn war. Der Maler und Holzschneider Horst Dieter Gölzenleuchter hatte Bilder zu meinem Buch gemacht und es in seinem kleinen Verlag herausgebracht. Alles mit der Hand gedruckt und dann selbst zusammengeheftet.
In der FAZ erntete das Buch einen furchtbaren Verriss. Meine Lehrer lasen das und auch meine Klassenkameraden. Mein größter Triumph wurde schnell zu meiner größten Niederlage. Ich wurde verspottet und verlacht.
Gölzenleuchter und ich sind immer noch Freunde. Wir treffen uns regelmäßig und heute lachen wir über die Dinge, die uns damals gewürgt haben.
Holger Bloem: Hatten Sie Vorbilder?
Klaus-Peter Wolf: Ich geriet sehr schnell unter den Einfluss schreibender Arbeiter im Ruhrgebiet. Max von der Grün, Josef Büscher, Richard Limpert. Für uns alle sehr wichtig war damals der Lyriker Hugo Ernst Käufer, der uns immer wieder in die Literarische Werkstatt einlud, wo wir unsere Texte miteinander diskutierten. Da ging es oft hoch her. Ich fand das total spannend und stellte meine Texte gern dort zur Diskussion.
Ich verdanke diesen Leuten sehr viel. Ich habe unendlich viel von ihnen gelernt.
Phillip Wiebe und seine Frau hatten damals eine kleine Agentur, die Kurzgeschichten verkaufte und auch Heinrich Böll und Siegfried Lenz vertraten. Die haben damals meine Geschichten aufgenommen und den Zeitungen und Radiosendern angeboten. Ich war vierzehn oder fünfzehn Jahre alt und wurde von diesen Leuten ernst genommen.
Damals gab es unter den Bergarbeiterschriftstellern einen festen Satz: Wer schreibt sich als erstes frei?
Die haben ja tagsüber unter Tage gearbeitet und ihre Texte in der Freizeit verfasst. Ein Leben als freier Autor, danach strebten sie alle. Nur einige wenige wie Max von der Grün haben es geschafft.
Holger Bloem: Und Sie ebenfalls.
Klaus-Peter Wolf: Ja, das stimmt. Ich habe rechtzeitig nichts Anständiges gelernt und alles auf diese eine Karte gesetzt.
Holger Bloem: Konnten Sie gleich vom Bücher schreiben leben?
Klaus-Peter Wolf: Nein, natürlich nicht. Die besten Honorare bekam ich damals vom Fernsehen. Ich bin, glaube ich, verantwortlich für mehr als hundert Stunden Fernsehen. Es waren sicherlich nicht die schlechtesten Fernsehstunden. Lange Zeit liefen meine Stücke um 20.15 Uhr. Viele „Tatorte“, „Polizeiruf 110“ oder auch einzelne Fernsehfilme wie „Svens Geheimnis“, „Weil ich gut bin“ oder der Thriller „Ein tödliches Wochenende“.
Holger Bloem: Typisch für Ihre Kriminalromane ist der rasante Wechsel zwischen Lachen und Grusel, Situationskomik und Gänsehaut.
Klaus-Peter Wolf: Beim Film lernte ich Dinge, die auch in meinen Romanen wichtig sind: schnelle Szenenwechsel, Bilder im Kopf des Lesers entstehen lassen und eine klare Dialogführung. Ich nutze das Grauen als Fallhöhe fürs Lachen und das Lachen dann als Fallhöhe fürs Grauen. So entsteht eine Achterbahnfahrt der Gefühle.
Holger Bloem: Man sagt, Ihre Ostfriesenkrimis seien characterdriven. Können Sie damit etwas anfangen?
Klaus-Peter Wolf: Ja, ich denke, das stimmt. Eine spannende Handlung mit langweiligen Figuren ist für mich nicht denkbar. Nur aus spannenden Figuren entstehen spannende Geschichten. Jeder trägt die Hölle in sich und wenn sie ausbricht, ist sie eben da.
Ich muss meine Figuren ganz genau kennen. Sie bewegen sich zwischen ihrer größten Angst und ihrer größten Sehnsucht. Und ich weiß immer, wo sie gerade stehe und wohin sie weitergehen.
Holger Bloem: Deswegen möchte man beim Lesen Ihrer Bücher manchmal eine der Figuren anrufen und sagen: Tu das nicht, das ist ein Fehler!
Klaus-Peter Wolf: Ja, bei mir weiß der Leser immer ein bisschen mehr als die handelnden Figuren. Er ahnt also, dass sie ins Verderben laufen.
Holger Bloem: Hat Ihre Hauptfigur Ann Kathrin Klaasen mit Ihnen viel gemeinsam?
Klaus-Peter Wolf: Sie ist jünger als ich und eine Frau. Aber es gibt viele Gemeinsamkeiten. Genau wie ich wurde sie in Gelsenkirchen geboren und ging dort zum Grillo-Gymnasium. Dann hatte sie eine Zeit in Köln und im Westerwald, bevor sie an die Küste kam. Sie ist mir von der Mentalität nah, das Bodenständige aus dem Revier, die rheinische Leichtigkeit – nie würde sie nach unten treten, aber dafür kann sie gnadenlos mit denen da oben umgehen.
Sie hat wie ich den Blick von außen auf die Ostfriesen, kann also über Dinge staunen, die ein Ur-Ostfriese selbstverständlich findet. Sie ist die Verhörspezialistin der ostfriesischen Polizei und hat einige Serientäter zur Strecke gebracht. In ihrer Freizeit sammelt und liest sie Kinderbücher und auf Flohmärkten ist sie hinter signierten Exemplaren ihrer Lieblingsautoren her. Ich finde, das erzählt viel über sie.
Holger Bloem: Sie spricht auch mit ihrem Auto, wenn es nicht anspringt oder redet einem Bankautomaten gut zu, wenn er nicht funktioniert.
Klaus-Peter Wolf: Ja, sie hat schon eine besondere Sicht auf die Welt.
Holger Bloem: In Ostfriesenfeuer haben Kommissar Weller und Ann Kathrin Klaasen geheiratet. Ist auch das eine Parallele zwischen Ihnen und Ihrer Figur?
Klaus-Peter Wolf: Ja. Meine Frau, die Kinderliedermacherin Bettina Göschl und ich, wir haben im Teemuseum in Norden mit einer Teezeremonie geheiratet und genau das tun Weller und Ann Kathrin Klaasen in Ostfriesenfeuer auch.
Holger Bloem: Ist das Leben eine Art Steinbruch für Ihre Romane?
Klaus-Peter Wolf: Das kann man so sagen. Ich wollte von Anfang an ein großes Gesellschaftspanorama schreiben, angelegt auf viele tausend Seiten, in dem unsere Ängste, unsere Sehnsüchte, unsere Sorgen, der ganze Wahnsinn, der uns umgibt, nicht erklärt wird, wohl aber erzählt.
Holger Bloem: Und für dieses Gesellschaftspanorama wählten Sie ausgerechnet den Kriminalroman?
Klaus-Peter Wolf: Ja. Keine Literatur ist so wirklichkeitshaltig wie die Kriminalliteratur. Sie erzählt von den Abgründen der menschlichen Seele, von dem Riss, der durch die Gesellschaft geht. Ich selbst habe über fremde Länder, zum Beispiel über Schweden oder die USA, mehr durch Kriminalromane gelernt, die dort geschrieben wurden als durch soziologische Studien. Außerdem waren die Kriminalromane im Regelfall auch unterhaltsamer und visionärer.
Krimileser sind ein sehr kritisches Publikum. Die glauben ja erst mal gar nichts, sondern wollen einen Sachverhalt überprüfen, eine Motivlage erkennen, einen Täter überführen. So habe ich die erzählerische Möglichkeit, ein Kaleidoskop von Personen und Persönlichkeiten auszubreiten.
Holger Bloem: Wenn man alle Ihre Romane nebeneinander legt, hat man dann am Ende eine Art Spiegelbild unserer Gesellschaft?
Klaus-Peter Wolf: Im Glücksfall eher eine Röntgenaufnahme.
Holger Bloem: Viele Ihrer Figuren gibt es wirklich. Den Maurer Peter Grendel, Monika Tapper vom Café ten Cate und …
Klaus-Peter Wolf: Sie selbst sind ja auch eine Figur aus meinen Büchern.
Holger Bloem: Ja, und ich werde immer häufiger darauf angesprochen.
Klaus-Peter Wolf: Wenn man Kriminalromane liest oder Krimis schaut, kann man feststellen, dass neue Klischees entstanden sind. Handwerker sind entweder Betrüger oder sie kommen gar nicht oder sie machen nur Mist. Und Journalisten sind eine geifernde Meute, die jeder Polizist am liebsten nur loswerden will. Das ist längst zum Klischee geworden. Damit wollte ich brechen, denn es gibt ja auch den guten, ehrlichen Handwerker, der stolz auf seine Arbeit ist und damit seine Familie ernährt. Den wollte ich erzählen. Und den Journalisten, der einen guten, ehrlichen Job macht.
Zum Glück kenne ich solche Menschen wie Sie und Peter Grendel.
Ich ging also zu Peter Grendel hin und fragte: Darf ich dein Leben fiktionalisieren und aus dir eine literarische Figur machen?
Er war einverstanden. Wie schön!
Holger Bloem: Wenn ich mich nicht irre, ist diese Mischung aus Fiktion und Wirklichkeit einzigartig in der deutschen Literatur.
Klaus-Peter Wolf: Mag sein. Bei mir stimmt ja alles. Es gibt alles wirklich: Die Orte, die meisten Menschen, jedes Restaurant, jedes kleine Geschäft. Aber den Mordfall habe ich immer erfunden, denn ich glaube, dass die Leser sich besser unterhalten fühlen, wenn sie wissen, dass das Opfer nicht wirklich leiden musste.
Holger Bloem: Sie schreiben Ihre Bücher mit einem Füller in ein Heft. Warum?
Klaus-Peter Wolf: Nun, ich liebe, was ich tue und ich mache es so, wie es mir am meisten Spaß macht. Ich schreibe mit schwarzer Tinte in ein Heft und wenn es gut läuft, habe ich das Gefühl, dem Füller beim Schreiben zuzugucken und ich lese voller Aufregung die spannende Geschichte, die mir erzählt wird. Das ist ein wunderschöner Prozess, ja, man kann hier auch von Glücksmomenten reden. Ich esse dabei viel Schokolade, trinke Kaffee oder Tee, esse manchmal ein Stück Apfelkuchen. Alkohol oder irgendwelche Drogen nehme ich nicht, wenn man Kaffee und Tee mal nicht unter Drogen subsummiert. Ein klarer Kopf ist mir beim Schreiben sehr wichtig.
Holger Bloem: Wo schreiben Sie am liebsten?
Klaus-Peter Wolf: Gern bei mir zuhause im Strandkorb auf der Terrasse. Aber weil ich viel unterwegs bin, oft auch in Intercityzügen, in Hotelbetten und gern in Cafés. Bei ten Cate in Norden gibt es zum Beispiel eine Ecke, in die ziehe ich mich gerne zurück und schreibe. Am Schreibtisch sitze ich praktisch nur, wenn ich meine Steuererklärung machen muss oder Korrespondenzen beantworte.
Holger Bloem: Sie lesen alle Ihre Romane selbst als Hörbücher ein.
Klaus-Peter Wolf: Ich liebe es, das zu tun. Am Anfang dachte ich, vielleicht sollte es ein „Tatort“-Kommissar machen oder so. Aber dann hat mein Produzent Ulrich Maske einige öffentliche Veranstaltungen von mir miterlebt. Er sagte: „Du musst das selber einlesen, Klaus-Peter. Du lieferst eine ganz eigene Interpretation deiner Figuren.“
Holger Bloem: Sie verleugnen dabei nicht, dass Sie aus dem Ruhrgebiet kommen.
Klaus-Peter Wolf: Nein, natürlich nicht. In der Straße, in der ich wohne, sind überhaupt nur noch Peter und Rita Grendel aus Ostfriesland. Die anderen sind Zugereiste aus dem Ruhrgebiet. Das ist hier ein Sehnsuchtsort für viele Menschen. Manchmal geht der Riss durch die Person. Kommissar Rupert zum Beispiel hat eine Mutter aus dem Ruhrgebiet und einen Vater aus Ostfriesland. Wenn er sich seiner Mutter näher fühlt, spricht er fast Jürgen von Manger. Wenn er innerlich näher bei seinem Vater ist, kommt das Norddeutsche mehr zum Ausdruck. Ann Kathrin Klaasen spricht halt wie jemand, der im Ruhrgebiet zur Schule gegangen ist und dann lange im Rheinland gelebt hat. Die Sprachmuster der Menschen sind vielschichtig. Nur, weil ich Ostfriesenkrimis schreibe, müssen nicht alle reden wie Otto Waalkes.
Holger Bloem: Warum haben Sie ausgerechnet Ostfriesland als Spielraum für Ihre Romane gewählt?
Klaus-Peter Wolf: Ich suche das Unverwechselbare. In der globalisierten Welt, in der es so viele Ketten gibt von Kaufhäusern, Schnellrestaurants und – ach …Da sehen doch langsam die Innenstädte gleich aus. Ich weiß gar nicht, bin ich jetzt in Frankfurt, in München oder in Zürich? In der ältesten ostfriesischen Stadt, Norden, gibt es wundervolle Cafés. Ten Cate, Remmers, Grünhoff oder das Kehre wieder. Überall riecht es anders, schmeckt es anders und genau das beschreibe ich.
Außerdem hat die Gegend hier etwas seht Mystisches. Viele sind ja noch Nachfahren alter Piraten.
Es gibt den Wechsel der Gezeiten, Ebbe und Flut, und es gibt eine klare Trennungslinie, an der man sich orientieren kann: den Deich. Wenn er gut und fest gebaut ist, bist du dahinter sicher. Und auf der anderen Seite des Deiches, da beginnt die Gefahr, da lauert unter Umständen sogar der Tod.
Die Landschaft ist in meinen Büchern wie ein Protagonist der Handlung.
Holger Bloem: Deshalb sagen manche Leute, Ihre Romane seien Regio-Krimis. Ärgert Sie das?
Klaus-Peter Wolf: Nein, obwohl ich natürlich die Tendenz darin erkenne, etwas abzuwerten. Aber gute Kriminalliteratur ist immer ganz klar in Zeit und Raum verortet. Alle internationalen Kriminalschriftsteller, die sich durchgesetzt haben, arbeiten so. Henning Mankells Bücher spielen in Ystad, Ian Rankins Bestseller spielen im Grunde alle in Edinburgh und da noch in einem bestimmten Stadtteil. Trotzdem würde denen niemand vorwerfen, Regionalkrimis zu schreiben.
Der Spielraum meiner Kommissare ist viel größer. „Ostfriesenfalle“ beginnt zum Beispiel in New York, endet dann aber auf Borkum. Vielleicht ist das auch ein typisch deutsches Problem. Ich erinnere mich gerade an einen Buchhändler in Baden-Württemberg, der mit erklärte, er könne meine Krimis unmöglich in seinem Laden gut verkaufen, schließlich stünde da Ostfriesland drauf und viele seiner Kunden seien ja noch nie dort gewesen. Er erzählte das vor einem großen Plakat, auf dem für Islandkrimis geworben wurde, die zu einer Pyramide in der Mitte des Ladens aufgebaut waren. Er musste dann selber grinsen, als ich darauf zeigte.
Inzwischen habe ich in seiner Buchhandlung einen eigenen Tisch.
Holger Bloem: Man sagt Ihnen ein sehr intensives, ja komplizenhaftes Verhältnis zu Ihren Lesern nach. Viele sind sogar mit Ihnen auf Facebook befreundet und nehmen zum Teil lange Anreisen auf sich, um Ihre Veranstaltungen zu erleben. Wie erklären Sie sich das?
Klaus-Peter Wolf: Ich bin ein glücklicher Autor, der wirkliche Stammleser hat, richtige Fans, die jedes Buch gelesen haben und sich bereits auf das nächste freuen. Ich fühle mich mit ihnen tief verbunden. Die haben einige tausend Seiten meines Werkes gelesen. Jedes Buch ist so etwas wie ein langer Brief, den ich an meine Leser schreibe. Meine größte Angst ist es immer, mit dem nächsten Roman könnte ich sie enttäuschen. Ich wurde als Autor ja nicht von der Literaturkritik in den großen Feuilletons entdeckt. Ich wurde auch nicht mit Werbekampagnen „gemacht“, sondern ich wurde von den Lesern im Land entdeckt. Die gibt es wirklich. In meinem Fall hat so eine Flüsterpropaganda funktioniert. Der eine erzählt es dem anderen und plötzlich ist aus einer kleinen, fast verschworenen Lesergemeinde ein großer, lebendiger Zusammenhalt geworden.
Holger Bloem: Wann wird die große Literaturkritik Sie entdecken?
Klaus-Peter Wolf: Wenn die Kritiker ihre Kinder, Putzfrauen und Schreibkräfte mal fragen, was die denn so in ihrer Freizeit lesen …Ich sehe das sehr gelassen. Bei Simmel war es genauso. Wenn sein neuer Roman erschien, standen die Leute vor den Buchhandlungen Schlange und ich mit ihnen in einer Reihe. Je mehr Leser er hatte, umso mehr hat die Kritik über ihn gespottet, bestenfalls hat sie ihn ignoriert. Als Simmel dann achtzig wurde, haben sie sich im Grunde bei ihm entschuldigt – bis dahin habe ich ja noch ein paar Jahre Zeit.
Holger Bloem: Ihre Bücher sind Bestseller. Ihre Veranstaltungen oft Monate vorher ausverkauft. Viele Popstars würden sich freuen, wenn sie so von ihrem Publikum gefeiert würden wie Sie. Wie fühlt man sich als Autor in so einer Situation?
Klaus-Peter Wolf: Das geschieht ja nicht von heute auf morgen, so, als würde die Welt um einen herum explodieren, sondern das alles ist langsam gewachsen. Bei meiner ersten Veranstaltung in Leer hat die Stadt ihrem Namen alle Ehre gemacht …Heute ist das anders. Als die Bücher plötzlich wie aus dem Nichts in den Bestsellerlisten auftauchten und dann nach oben gearbeitet haben, da hatte ich zunächst das komische Gefühl, nicht zu genügen und ständig zu versagen.
Holger Bloem: Wie das denn?
Klaus-Peter Wolf: Naja, plötzlich erhielt ich hundertzwanzig bis hundertfünfzig Emails pro Tag. In Spitzenzeiten auch mal doppelt so viele. Das kann man gar nicht mehr alles lesen, geschweige denn beantworten. Ich versuche es natürlich, aber ich gehe dann jeden Abend mit dem Gefühl schlafen, es wieder nicht geschafft zu haben. Dabei ist das ganz wertvolle Post von Lesern, Einladungen zu Veranstaltungen und – ach …Wenn ich zuhause für meine Nachbarn und Freunde koche, dann bin ich kein Star, sondern nur der Depp, der gerade den Fisch versalzen hat …