Herbert Reinecker & Günter Herbertz – TV 2000 – Die Anfänge beim Film

Als ganz junger Autor zog ich nach Schweden, wo ich zwei Jahre lang mit der Übersetzerin Tora Palm zusammenlebte. Dort sah ich deutsche Krimireihen im Fernsehen: Der Kommissar und Derrick von Herbert Reinecker. Die Filme liefen auf Deutsch mit schwedischem Untertitel. Ich sah mir die Filme zunächst an, weil ich glaubte, so schwedisch lernen zu können. Das misslang. Aber ich lernte einiges über Serien, Serienfiguren und Kriminalfilme.

Bei Herbert Reinecker musste man die Motive des Täters erkennen, ja, das Motiv führte erst zu ihm. Er entschuldigte die Täter nicht, aber der Zuschauer begann, sie zu verstehen. Das irritierte mich und es gefiel mir.

Zurück in Deutschland, nach der Pleite des Verlages, schrieb ich verzweifelt an Herbert Reinecker, ich wolle bei ihm Drehbuchschreiben lernen.

Ich wusste nicht einmal, wie ein Drehbuch aussah. Ich bat ihn, mir eins zu schicken.

Er tat es tatsächlich.

Damals gab es noch keine Computer. Das Drehbuch war also Seite für Seite mit der Schreibmaschine abgetippt. Das Typoskript wellte sich in der Mitte, da, wo die Dialoge standen. Wenn Herbert Reinecker eine Seite getippt hatte und noch etwas ändern wollte, tippte er natürlich nicht jedes Mal aufs Neue die ganze Seite ab, sondern er schrieb einzelne Worte, Sätze, Dialogfetzen auf, schnitt sie aus und klebte sie auf die Seite.
Manchmal machte er das drei-, viermal und so entstand dieses Werk mit der großen Welle in der Mitte.

Ich studierte das Drehbuch sehr genau. Die Szenenaufteilung, die Plot Points, die Geschwindigkeit usw. Gerade die überklebten Stellen waren für mich sehr hilfreich, fand ich doch darunter die Entwicklung des Manuskripts.

Wild entschlossen schrieb ich mein eigenes Drehbuch. Ich schrieb es mit dem Füller in ein Heft und nach vielen Korrekturen tippte ich dann die Endfassung sauber ab (ja, damals konnte ich mir noch keine Sekretärin leisten).

Das fertige Drehbuch tütete ich ein, um es hoffnungsvoll an Herbert Reinecker zu schicken. Auf dem Weg zur Post jedoch wurde mir ganz anders. Ich dachte, das nimmt der doch gar nicht ernst. Dieses fehlerlos getippte Manuskript erweckt den Eindruck, es sei nicht „gearbeitet“. Es unterschied sich doch zu sehr von seiner Vorlage.

Also fuhr ich wieder zurück und bearbeitete die fertigen Seiten. Ich schnitt auch kleine Schnipsel aus, überklebte Beschriebenes, manchmal zwei-, ja dreimal. Dann sah es aus wie seine Arbeit.

Ich fuhr noch einmal zur Post und diesmal traute ich mich, das Drehbuch abzuschicken.

Zuhause dann beschlich mich die Sorge, dass er vielleicht – so, wie ich es getan hatte – überklebte Textstellen hochhebt, um zu gucken, wie der Ursprungstext war und wie sich alles entwickelt hatte. Dann wäre er bei mir aber sehr enttäuscht worden, denn ich hatte ja gar nichts mehr wirklich verändert, sondern immer nur dasselbe überklebt.

Vierzehn Tage vergingen. Eine sehr schlimme Zeit. Gejagt von Gläubigern, arbeitete ich an einem neuen Roman und hoffte, irgendwann mit dem Filmeschreiben Geld verdienen zu können. Der WDR produzierte ein neues Hörspiel von mir und wiederholte ein altes, was mich kurzfristig rettete, denn damals gab es noch 100 Prozent Wiederholungshonorar.

Dann kam Post von Herbert Reinecker: Herzlichen Glückwunsch! Ich kann Ihnen leider nichts beibringen, Sie können es bereits. Sie sind mein würdiger Nachfolger.

Eine Weile saß ich wie paralysiert da und starrte diesen Brief an. Hoffnung, Freude und Wut, all das tobte in mir. Hoffnung, ich könne vielleicht wirklich ein guter Drehbuchautor werden. Freude, weil Herbert Reinecker Gefallen an meinem Text fand. Und Wut, weil ich dachte, das schreibt der doch nur, um dich loszuwerden. So schiebt ein berühmter Autor einen jungen Autor ab, wenn der ihm lästig wird.

Ich hatte von einem meiner wenigen Fans eine Flasche Hennessy geschenkt bekommen. Ich leerte die Flasche an dem Tag fast komplett. Aber Kummer und Sorgen ließen sich nicht wegsaufen. Nachdem der Kater verflogen war, tippte ich sogar mehrere vorwurfsvolle Briefe an Herbert Reinecker, die ich dann aber zum Glück alle zerriss, ohne sie abzuschicken.

Ich weiß es noch genau – ich stand am Herd und kochte Spaghetti – da klingelte das Telefon. Günter Herbertz, der Chef von TV 2000, war am Apparat und begrüßte mich mit den Worten: „Ich war gerade beim alten Reinecker. Der hat gesagt, Sie sind sein würdiger Nachfolger. Ich würde Sie gerne kennenlernen. Wann können Sie mich in Wiesbaden besuchen kommen?“

Es wurde ein längeres Gespräch. Die Spaghetti verkochten zu einer Pampe.

Günter Herbertz war damals ein großer TV-Produzent, der internationale Co-Produktionen verwirklichte. Die politischen Systeme waren kurz davor, sich gegenseitig zu vernichten und bedrohten sich mit Atomraketen, die Grenzen waren schier undurchdringlich, doch Günter Herbertz produzierte mit den Polen, den Russen, den Tschechen, den Ungarn und dem deutschen Fernsehen Serien.

Ich fuhr nach Wiesbaden. Unterwegs überlegte ich noch, ob ich vielleicht von irgendwem hereingelegt würde. Als ich in Wiesbaden ankam, lief dort gerade das Casting für einen Spielfilm und in seinem Garten im Gallierweg standen zahlreiche junge Schauspielerinnen und warteten darauf, vorsprechen zu dürfen. Ich dachte schon, das ist ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, um zu kommen, doch ich wurde sofort zu ihm durchgeleitet.

Wir verstanden uns auf Anhieb. Er wollte Ideen und als ich lossprudelte, gelang es mir, ihn sofort zu begeistern. Er wollte immer mehr, mehr, mehr. Er ließ alle anderen warten und hörte mir zu. Er bestellte uns Kaffee und Kuchen. Er schien alle Zeit der Welt zu haben, ja, dieser Mann war wirklich auf der Suche nach guten Geschichten, das verstand ich.

Als ich sein Haus verließ, hatte ich einen Vertrag in der Tasche, der mir monatliche Zahlungen zusicherte.

Fast zwanzig Jahre schrieb ich für ihn. Am Anfang immer nur Exposés. Ideen für Filme, die nie realisiert wurden. Trotzdem bezahlte er mich.
Hinterher große Serien. „Das Collier“ (13 Folgen), „Drei tolle Nullen“ (13 Folgen), „Air Albatros“ (26 Folgen). Alles internationale Co-Produktionen.

Irgendwann wurde mir diese Form zu eng. Ich wollte aus dem 45-Minuten-Korsett heraus. Ich begann, Stücke zu schreiben, die über 90-Minuten trugen.

Ich schrieb ohne Auftrag das Drehbuch „Svens Geheimnis“ und legte es ihm vor. Er las und sagte: „Das ist das beste, was Du je geschrieben hast.“ Mit Monika Petow fanden wir im WDR eine begeisterungsfähige Redakteurin. Wir produzierten den Film fürs Abendprogramm der ARD mit Roland Suso Richter als Regisseur. Als der Film abgedreht war, gab es in Köln ein großes internationales Filmfest. Dort wurde der Film nicht gezeigt. Herbertz, meine Redakteurin und ich waren empört. Aus dem Sender ließ man verlauten, „so ein Film über Kinder im Kohlenpott“ habe international keine Chance. Ich flippte aus. Freundschaften zerbrachen. Günter Herbertz glaubte weiter an den Film. Kurz nach dem Festival in Köln – das ohne uns stattfand – fuhren wir nach Banff in Kanada. Dort erhielten wir für den Film den Rocky Award for best made TV-movies of the world. Es folgten viele weitere Preise unter anderem der Magnolia Award in Shanghai. Bestes internationales Drehbuch. Beste internationale Regie. Beste internationale Hauptrolle. Beste internationale Kamera. Ach ja, den Publikumspreis nahmen wir dann auch noch mit…

Ich schrieb viele weitere Stücke fürs Abendprogramm auch für „Tatort“ und „Polizeiruf 110“.

Oft denke ich an Günter Herbertz zurück diesen großen Mann, der so viele meiner Stoffe realisiert hat und so viel Vertrauen in mich setzte. Als ich mit 40 Jahren eine schwierige Herzoperation hatte und aus allen bestehenden Projekten kurzfristig aussteigen musste, schickte er mir einen Strauß Blumen. Im Blumenbukett ein Briefumschlag. Ich öffnete ihn und erwartete gute Genesungswünsche, aber dort fand ich staunend einen Scheck über 25.000 D-Mark. Er wusste, dass ich als junger Familienvater und selbstständiger Autor vor Problemen stand, weil ich eine Weile nicht arbeiten und meine Projekte nicht zu Ende bringen konnte.

Später haben wir noch viele Filme miteinander realisiert.
Als ich dann auch für Regina Ziegler, Holm Dressler und Gerd Schmidt schrieb, war er ein bisschen eifersüchtig und Manns genug, das auch zu sagen.

Produzenten wie er sind selten geworden. Wenn ich jungen Autoren davon erzähle, schauen sie mich an und ich sehe es in ihrem Blick: Sie glauben mir nicht. Sie können sich gar nicht vorstellen, dass es mal solche Typen gegeben hat.

Lesen Sie mehr über den Neuanfang im Westerwald.

Nach seiner gleichnamigen Kinderbuchserie schrieb Klaus-Peter Wolf die internationale Fernsehserie Drei tolle Nullen produziert mit dem polnischen und dem deutschen Fernsehen.