Ostfriesengrab

Der dritte Teil der Ann Kathrin Klaasen Reihe

Im zauberhaften Park von Schloss Lütetsburg wird eine weibliche Leiche gefunden. Der Mörder hat sie wie eine Elfe in den blühenden Sträuchern drapiert. Welche Botschaft will er Kommissarin Ann Kathrin Klaasen und ihrem Team damit übermitteln? Auch der dritte Kriminalroman mit der beliebten Kommisarin verspricht Spannung pur.

Es beginnt im Schlosspark Lütetsburg. Die Tote sieht aus wie ein Engel, der sich zwischen den Blüten der Rhododendronsträucher verfangen hat …

In OSTFRIESENGRAB legt der Mörder seine Opfer nur an die schönsten Stellen Ostfrieslands, als wolle er besondere Orte auszeichnen und das Augenmerk der Menschen auf die Schönheit der Landschaft richten.

Foto: Wolfgang Weßling

Infos zum Buch

Erstausgabe Fischer Taschenbuch, März 2009
Umfang 400 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-59-618049-3

Fischer Taschenbuch, August 2012, 9. Auflage
Umfang 400 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-59-618049-3

als Hörbuch
Jumbo Neue Medien, Juni 2009
Umfang 3 CDs
ISBN 3-8337-2440-4

Leseprobe:

Natürlich kannte sie den zauberhaften Schlosspark Lütetsburg. Ihre Freundin Ulrike hatte hier geheiratet. Damals hatte Ann-Kathrin Klaasen sich vorgenommen, immer wieder zu diesem Ort der Ruhe zurückzukehren, um zwischen dem jahrhunderte alten Baumbestand Einkehr zu halten und zu sich selbst zu finden. Von ihrem Haus im Distelkamp in Norden bis zum Schlosspark waren es nur wenige Minuten. Doch wer lange am Meer wohnt, gewöhnt sich an das Geräusch der Wellen und hört es irgendwann nicht mehr, dachte sie, traurig darüber, dass ein Kriminalfall nötig war, um sie an diesen wunderbaren Ort zurückzuführen. Jetzt wurde sie von der Farbenpracht der Rhododendren- und Azaleenblüten geradezu geflutet. Für einen Moment schloss sie die Augen und atmete nur ein.
Der Geruch war überwältigend. Wie konnte jemand in dieser Oase für die Seele einen Menschen umbringen? Die Nordsee konnte man hier nicht hören. Der Park hatte eine ganz eigene Geräuschkulisse. Das Surren nektartrunkener Insekten war wie ein Hintergrundgeräusch, über dem das Knistern der Zweige und Blätter lag, mit denen der Wind spielte, als hätte er bei seinem langen Weg übers Meer vergessen, wie schön es auf dem Festland sein konnte. Ihre Freundin Ulrike hatte in der hölzernen Nordischen Kapelle geheiratet. Ann-Kathrin Klaasen war dem ostfriesischen Häuptlingsgeschlecht von Innhausen und Knyphausen zutiefst dankbar, dass sie diesen Ort ermöglicht hatten. Sie nahm sich vor, mit ihrem Sohn Eike hierhin zu gehen. Es konnte doch nicht sein, dass er in
der Nähe aufwuchs, aber das CineStar in Emden besser kannte als diesen Park. Womöglich gab es hier mehr zu sehen als im Kino, dachte sie. Sie öffnete die Augen wieder und ließ die Farbenpracht auf sich wirken. Dies zarte Grün, das sich mit lachsrot und sonnengelb mischte, erinnerte sie an die ersten Eindrücke ihrer Kindheit, als sie mit ihrem Vater zum ersten Mal ein Museum besucht hatte und er versuchte, ihr die hingetupften Bilder der Impressionisten nahe zu bringen. Sie war begeistert gewesen von den Bildern und noch mehr davon, wie sehr ihr Vater sich mit ihr beschäftigte. Er versuchte, ihr den Blick für die Welt zu öffnen. »Schönheit«, sagte er, »muss man auch sehen können.« Aber was jetzt auf sie wartete, war sicherlich nicht schön. Sie hat
te die Leiche noch gar nicht gesehen. Sie stand am Eingang des Parks. Der uniformierte Kollege Paul Schrader interessierte sich nicht für die Schönheit der Landschaft. Er wirkte merkwürdig betreten, wie jemand in einer Beziehungskrise oder wie ein Mensch mit einem schlechten Gewissen, dachte Ann-Kathrin. So wie er jetzt da stand und auf seine Schuhe sah, benahmen sich Täter oft ganz kurz vor ihrem Geständnis. Typischerweise kaute er auch noch auf der Unterlippe herum und war ganz in sich gekehrt, als müsse er erst selbst mit etwas klarkommen, bevor er es dann der Umwelt anvertrauen konnte. Neben ihr reckte Weller sich und atmete tief durch. »Weißt du, woran ich gerade denke, Ann?« »Ja, daran, dass wir mal wieder Urlaub machen sollten.« »Genau«, log
er. In Wirklichkeit hatte er an etwas ganz anderes gedacht. Gerade, als die Sonne in ihr Gesicht schien und ihren Haaren eine engelhafte Aura gab, sie die Augen für einen Moment geschlossen hatte und in ihren Gedanken und Erinnerungen versunken war, da spürte er fast schmerzhaft, wie sehr er sie begehrte. Am liebsten hätte er sie jetzt hier sofort geliebt, zwischen der Blütenpracht, mit der das Leben sich selbst feierte. Vielleicht wirkten diese Blütendüfte wie ein Aphrodisiakum auf ihn. Vielleicht war es nur Ann-Kathrin selbst. Es war ihm egal. Er hatte jetzt keine Lust, sich mit etwas anderem zu beschäftigen als mit ihr und ihrem schönen Körper. Aber das konnte er ihr nicht sagen, denn hier war ein Mord gemeldet worden und die Kollegen von der Spurensich
erung waren weiter hinten im Park schon bei der Arbeit. Abel von der Spurensicherung kam ihnen an den Wasserläufen entlang entgegen. Er hielt ein Fotostativ wie einen Baseballschläger in der Hand, so als müsse er sich damit verteidigen. Ganz gegen seine sonstigen Gewohnheiten hing die Kamera um seinen Hals. Er zeigte auf eine mächtige farnblättrige Buche und rief: »Warum bin ich nicht Landschaftsgärtner geworden oder Florist oder …« Er breitete die Arme aus. Seine Worte kamen mit der Energie der Verzweiflung. »Oder warum fotografiere ich nicht einfach so etwas hier? Meinst du, es gibt schon einen Bildband von diesem Park?« Abel hatte schon viele Leichen gesehen. Er war eigentlich ein abgebrühter Hund, fand Ann-Kathrin. Manchmal sogar zu kalt. Was er
fotografiert hatte, musste ihn sehr, sehr erschüttert haben. Er hatte jede professionelle Abgrenzung verloren und war kurz davor, seinen Job hinzuschmeißen. So kannte sie ihn nicht. Sie begann, sich innerlich darauf einzustellen, gleich etwas Grauenhaftes zu sehen. Zunächst fragte sie Paul Schrader: »Wo ist der Zeuge, der uns angerufen hat« Er saß auf einer Bank vor dem Freundschaftstempel und sah von dort aus die Insel der Seligen, die Begräbnisstätte der Familie Innhausen und Knyphausen. »Der ist ZDF-Redakteur«, sagte Schrader und klang wenig begeistert. Weller hörte nur ZDF und hakte gleich nach: »Ist die Presse mal wieder vor uns da?« »Er hat die Leiche gefunden.« Misstrauisch fragte Weller: »Was macht das Fernsehen hier?« »Urlaub!«, r
ief Gunnar Peschke, stand auf und kam zu den Beamten herüber. Sie wunderten sich, dass er ihre Worte verstanden hatte. Er nahm ihre Verunsicherung wahr und lächelte: »Ich bin Musikredakteur. Kinderlieder. Musikboxx zum Beispiel. Gut hinhören ist sozusagen mein Geschäft.« Der Mann gefiel Ann-Kathrin. Eine imposante Erscheinung. Offensichtlich nicht leicht aus der Ruhe zu bringen. Er musste dasselbe gesehen haben, das Abel so aus der Fassung gebracht hatte. Und er war dabei allein gewesen, nicht umrahmt von Polizeibeamten und Kollegen. Er hatte sie informiert und dann hier gewartet. »Sind Sie den Anblick von Leichen gewöhnt?«, fragte Ann-Kathrin Klaasen. »Nein«, lächelte er. »Dafür bin ich nicht zuständig. Im Kinderfernsehen befassen wir uns nicht mi
t so etwas. Das machen meine Kollegen vom Abendprogramm. Ich habe mehr mit Piraten zu tun, Hexen und Gespenstern. Sie verstehen …« Er erzählte, dass er in Norddeich im Fährhaus wohnte und täglich mit dem Rad zu längeren Touren aufbrach. Heute morgen war er der erste Gast im Schlosspark Lütetsburg gewesen. Es war nicht mal jemand da, um Geld zu kassieren. Er hatte am Eingang einen Euro eingeworfen. Jetzt fragte er sich, wie jemand in der Lage war, so ein Paradies zu unterhalten mit nur einem Euro Eintrittsgeld. Weller spürte einen Stich Eifersucht, weil er merkte, dass dieser Gunnar Peschke seiner Ann-Kathrin durchaus gefiel. Das machte ihn umso kritischer: »Warum sind Sie nicht wie die anderen Touristen am Meer? Warum radeln Sie nicht am Deich lang« M
ilde lächelnd zeigte Gunnar Peschke mit der offenen Hand die Schönheiten der Landschaft, in der sie sich befanden. »Schauen Sie sich um. Braucht man dafür eine Erklärung?« Ann-Kathrin nickte und sah Weller missbilligend an. Das machte ihn noch wütender auf diesen ZDF-Redakteur. »Kennen Sie die Tote?«, fragte Weller. »Nein«, antwortete Gunnar Peschke. »Ich glaube nicht. Obwohl…« »Obwohl was?«, setzte Weller sofort nach. Gunnar Peschke winkte ab. »Ach, schauen Sie doch selbst.« »Ihre Personalien haben die Kollegen ja bereits aufgenommen«, stellte Weller fest. »Natürlich«, maulte Schrader. »Denkt ihr, wir haben hier Blumen gepflückt?« Ann-Kathrin Klaasen atmete noch einmal tief durch. Dann sagte sie: »Okay. Sehen wir uns den Tatort an.«
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