Ostfriesenblut

Der zweite Teil der Ann Kathrin Klaasen Reihe

Ein Unbekannter legt Ann-Kathrin Klaasen eine Leiche vor ihr ostfriesisches Einfamilienhaus. Die Person, Regina Orth, ist keines natürlichen Todes gestorben, obwohl im Totenschein Tod durch Herzversagen angegeben wurde. Doch noch während Kommissarin Ann-Kathrin Klaasen im Umfeld der Toten ermittelt, erhält sie Hinweise auf das nächste Opfer des Mörders.

Offenbar ist sie Teil eines Spiels, dessen Regeln sie noch nicht kennt.

Norddeich war ein friedlicher Urlaubsort an der Nordseeküste. Hier wurden keine Touristen beim Baden vom Weißen Hai attackiert und auch keine Frauen von Parkplätzen entführt. So hatte man bisher gedacht …

In OSTFRIESENBLUT verwischt die Trennungslinie zwischen Gut und Böse, Richtig und Falsch. Zwischen den Zeilen werden existenzielle menschliche Fragen gestellt.

Foto: Wolfgang Weßling

Infos zum Buch

Fischer Taschenbuch, Februar 2008, 7. Auflage
Umfang 328 Seiten, broschiert
ISBN 978-3-596-16668-8

als Hörbuch
Verlag Jumbo Neue Medien, April 2008
Umfang 3 CDs
ISBN 3-8337-2127-8

Leseprobe:

Er schlenderte langsam vorbei, nickte ihr sogar zu und sah ihr ins Gesicht. Ja, er war sich sicher: Er hatte die richtige Wahl getroffen. Er kannte sie nur aus der Zeitung und von ein paar flüchtigen Fernsehbildern, auf denen sie gar nicht gewirkt hatte wie eine Frau, die am Rande ihrer Kräfte war. Er hatte viele Berichte über sie gesammelt. Der Ostfriesische Kurier hatte ihr fast eine ganze Seite gewidmet. Der Kommissarin, die mit psychologischem Einfühlungsvermögen eine irre Serienmörderin gefasst hatte. Es gefiel ihm, wie Ann Kathrin Klaasen über Sylvia Kleine redete. Sie verstand die Motive, begriff, was geschehen war. Besser als jeder Seelenklempner. Ja, er hatte die richtige Wahl getroffen. Sie rief ihren Sohn schon lange
nicht mehr auf dem Festnetztelefon an. Sie hatte jedes Mal Angst, Susanne Möninghoff, die neue Geliebte von ihrem Exmann, könnte abheben und mit ihrer verletzenden Freundlichkeit die alte Wunde wieder aufreißen. Aber auch der Kontakt über Eikes Handy fiel zunehmend schwerer. Tagelang hörte sie nur: The person you are calling is not available. Später erklärte er dann, sein Akku sei leer gewesen und er hätte das Aufladegerät verloren. Auf ihre Nachrichten antwortete er angeblich nicht, weil seine Prepaidkarte leer war. Sie kam sich dumm dabei vor, ihm hinterher zu laufen. Er war 13 und ihr Sohn. Sie schwankte zwischen dem Gefühl, ihn zu vernachlässigen und dem, von ihm vernachlässigt zu werden. War sie total austauschbar? Ersetzte
ihm die Geliebte seines Vaters die Mutter so vollständig? War Susanne Möninghoff nicht nur eine bessere Liebhaberin, sondern auch noch eine bessere Mutter? Der Gedanke schmerzte sie. Da fiel es ihr leichter, daran zu glauben, dass ihr Mann, Hero, seine gelernten Fähigkeiten als Therapeut dazu einsetzte, sie von ihrem Sohn zu entfremden. Wenn er das wirklich tat, dann war er sehr gut darin. Er hatte gesiegt. Auf ganzer Linie. Vielleicht war es besser, dieses große Haus im Distelkamp 13 zu verlassen. Alles hier erinnerte sie an Hero und Eike. Daran, wie ihre Ehe auf dem Altar der Kriminalitätsbekämpfung geopfert wurde. Ja, sie beide waren gut für Ostfriesland. Hero half seinen Klienten, ein freieres, glücklicheres Leben zu führen und
mit den Traumatisierungen ihrer Kindheit fertig zu werden, während sie die bösen Jungs einsperrte und alles dafür tat, dass sich jeder Bürger in Ostfriesland sicher fühlen konnte. Dabei war im Laufe der Zeit jeder Tatverdächtige viel wichtiger geworden als die Beziehung zu ihrem Mann und ihrem Sohn. Sie gestand es sich nicht gerne ein, aber genau so war es wohl. Da nutzte es wenig, ihrem Ex vorzuwerfen, dass er sich lieber mit dem Liebesleben seiner Klientinnen befasste als mit dem seiner Frau. Sicherlich kannte er die unterdrückten Sehnsüchte seiner Klientinnen besser als ihre. Sie wurde wütend bei dem Gedanken. Es tat ihr gut, ihm die Schuld zu geben. Auch wenn es ungerecht war. Gerechtigkeit übte sie im beruflichen Alltag genug.
Sie überlegte, wie das mit ihren Eltern war. Hielt sie auch keinen Kontakt zu denen? Vielleicht wartete ihre Mutter auch wochenlang auf einen Anruf? Nein, wochenlang sicherlich nicht. Mindestens einmal pro Woche meldete sie sich bei ihrer Ma. An ihren Vater dachte sie ständig. Als er noch lebte, hatte sie nicht erkannt, wie wichtig er für sie war. Seit seiner Ermordung dominierte er manchmal ihr Leben. Sie kümmerte sich nicht um sein Grab, aber sie hielt ständig Zwiesprache mit ihm. Immer wieder, wenn sie vor schwierigen Situationen stand, fragte sie sich: Wie würde er handeln? Manchmal hörte sie dabei seine Stimme oder roch seinen Atem. Ihm zu Ehren lag noch immer eine Flasche Doornkaat im Eisfach. Daneben zwei Gläser, obwohl sie
den Schnaps doch immer alleine trank. Genau wie er damals. Ann Kathrin Klaasen drückte die Kurzwahltaste für Eike. Es klingelte. Immerhin. Zumindest war der Akku von ihrem Sohn wieder aufgeladen. Eike hob schon nach dem zweiten Klingelton ab. ?Ja, Mama, was ist denn?? Sein Ton ließ kein Missverständnis aufkommen. Sie störte ihn bei irgend etwas. Wahrscheinlich musste sie froh sein, dass er sich überhaupt meldete und nicht einfach das Handy ausschaltete, wenn Mam auf dem Display erschien. Zwischen ihnen entstand ein kurzes Schweigen, das sie als peinlich empfand. »Ich wollte nur mal deine Stimme hören«, sagte sie. Es hörte sich an wie eine Entschuldigung. Er antwortete so genervt wie möglich: »Wir lernen gerade. Ich schreib mo
rgen eine wichtige Arbeit.« Die fürsorgliche Mutter in ihr wollte natürlich wissen, in welchem Fach und mit wem er büffelte, aber die Kriminalistin in ihr ahnte, dass sein Lerneifer nur eine schnelle Ausrede war, um sie loszuwerden. Wahrscheinlich waren ein paar Kumpels zu Besuch und sie hatten Wichtigeres zu tun ? ja, was eigentlich? Sie wusste nicht mal mehr, wofür Eike sich interessierte. Hatte er eine Freundin? Ging es schon mit der ersten Liebe los? Sie blieb freundlich, bemühte sich, ihn ihre Enttäuschung nicht spüren zu lassen und sagte: »Na, dann ruf ich lieber später noch mal an. Und alles Gute – ich drück dir die Daumen.« Das Gespräch hatte ihr nicht gut getan. Es hinterließ einen Druck auf der Brust. Und sie, die
immer von Terminen gejagt wurde und oft mit dem Gefühl durch den Tag hetzte, ohnehin nicht alles schaffen zu können, wusste plötzlich nichts mehr mit sich anzufangen. Sie trank ein Glas Mineralwasser, holte dann ein Stück Leber aus dem Kühlschrank, schnitt es in gleichmäßige Teile und stellte es der Katze hin. Willi hatte sich auch schon seit Tagen nicht mehr sehen lassen. Angeblich waren Katzen ja so treu. In Wirklichkeit wussten sie wahrscheinlich nur genau, wo es etwas zu fressen gab und einen warmen Schlafplatz. Ann Kathrin Klaasen machte ein paar Mauzgeräusche, doch so sehr sie sich auch bemühte, eine Katze zu imitieren, Willi ließ sich nicht blicken. Sie fühlte sich zurückgestoßen, ja ausgenutzt. Auch von Willi. Sie dach
te kurz an Sylvia Kleine, die verrückte Mörderin, die Ostfriesland so lange in Aufruhr versetzt hatte. Ann Kathrin beschloss, sie mal wieder zu besuchen. Obwohl sie sie damals überführt hatte, war zwischen den beiden so etwas wie eine Freundschaft gewachsen. Hätte sie mir sonst ihren Kater Willi anvertraut, dachte Ann Kathrin. Dann spürte sie es wie einen Stich in der Magengegend: War sie schon so weit herunter gekommen, dass sie, um überhaupt noch persönliche Beziehungen zu haben, auf gefasste Straftäter zurückgreifen musste? Auch wenn es ihr gelungen war, das Vertrauen von Sylvia Kleine zu gewinnen, hatte sie das ihres Sohnes verloren. Sie schüttelte sich und beschloss, ans Meer zu fahren. Der Wind am Deich hatte ihr schon oft d
ie Gedanken frei gepustet, wenn sie zu sehr verstrickt war in ihr persönliches Geflecht oder in einen Fall. Er jammerte. Einerseits fürchtete er nichts mehr, andererseits hoffte er, dass sein Peiniger bald zurückkommen würde, denn er wusste, dass er sonst nicht mehr lange zu leben hatte. Hunger und Durst hatten ihn so schlapp gemacht, dass er immer wieder ohnmächtig wurde. Was aber viel schlimmer war: er brauchte diese Scheiß-Medikamente. Sie lagen keine zwei Meter von ihm entfernt auf dem kleinen Tischchen. Daneben ein Rohrstock und die Peitsche. Wie um ihn zu verhöhnen, hatte der Mann, bevor er ihn allein ließ, ein volles Glas Wasser auf den Tisch gestellt. Lieber Gott, betete Heinrich Jansen, lieber Gott, bitte lass mich nicht so sterben.
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